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Das Urteil muss die EU-Kommission wachrütteln

EuGH-Entscheidung zum Rechtsstaatsschutz

Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes kann die EU-Kommission Mitgliedstaaten Geld vorenthalten, die gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen. Dazu meine Kollegin Katarina Barley, Vizepräsidentin und Mitglied im Innenausschuss des Europäischen Parlaments:

„Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes verliert die EU-Kommission die letzte Ausrede für ihr Zaudern bei der Anwendung des Rechtsstaatsmechanismus. Der EuGH sagt klipp und klar, dass die Europäische Union kein Geldautomat ist, aus dem man beliebig abheben kann, ohne sich an demokratische Spielregeln zu halten. Die Argumente von Ungarn und Polen greifen nicht, im Gegenteil: Die EU hat laut dem Urteil das Recht und auch die Pflicht, das Geld der Bürgerinnen und Bürger gegen unlautere Übergriffe zu schützen.

Das Urteil muss die EU-Kommission wachrütteln. Sie nutzt seit über einem Jahr die Möglichkeit nicht, die ihr das das EU-Parlament an die Hand gegeben hat. Sie könnte schon längst Regierungen in der EU die Mittel streichen, wenn diese in ihren Ländern europäische Grundwerte wie die Unabhängigkeit der Justiz missachten. Ohne eine unabhängige Justiz kann es auch keine effektive Kontrolle von EU-Geldern geben.

Der finanzielle Hebel wirkt. Das zeigt die Zurückhaltung der Corona-Wiederaufbaugelder, die zumindest bei der PiS-Regierung Bewegung hervorgerufen hat. Der EuGH hat heute klargestellt: Auch in Bezug auf den gesamten EU-Haushalt ist das Blockieren von Geldern rechtmäßig. Selbst die zögerliche Kommission kann sich jetzt nicht mehr wegducken und muss Gelder für Orbán und Co einfrieren. Zeit ist hier Geld, denn Orbán schafft in Ungarn schon seit Jahren die Demokratie ab und schaufelt Geld in die Taschen seiner Familie und Freunde. Die EU-Kommission sollte das korrupte Orbán-System nicht weiter finanzieren und ihm klarmachen: Jetzt reicht es! Die EU muss an der Seite der Bürgerinnen und Bürger in der EU stehen, auf der Seite von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie – nicht an der Seite von Autokraten, die diese Werte abschaffen wollen.“
 
Im Dezember 2020 hat das Europäische Parlament die „Verordnung über eine allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Union“ gemeinsam mit dem Rat beschlossen. Der komplette Text der Verordnung ist hier verfügbar.

Nach der Verordnung können Zahlungen aus dem EU-Haushalt für Länder zurückgehalten werden, in denen festgestellte Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit die Verwaltung der EU-Gelder gefährden. Die Kommission kann demnach, nachdem sie festgestellt hat, dass ein Verstoß vorliegt, vorschlagen, dass der Konditionalitätsmechanismus gegen eine Regierung ausgelöst werden soll, und anschließend die Zahlungen an diesen Mitgliedstaat aus dem EU-Haushalt entweder kürzen oder einfrieren. In der Verordnung sind klare Fristen festgelegt: Nach der Mitteilung der Kommission an einen betroffenen Mitgliedsstaat hat dieser bis zu drei Monate Zeit, darauf zu antworten. Die Kommission hat dann wiederum einen Monat Zeit, die Antworten zu prüfen und dem Mitgliedsstaat ihre Entscheidung mitzuteilen. Dieser hat dann wiederum einen Monat Zeit, auf die Entscheidung zu reagieren.

Ist die Reaktion nicht zufriedenstellend, legt die Kommission ihre Entscheidung dem Rat binnen eines Monats vor. Dieser muss innerhalb von drei Monaten über den Vorschlag befinden. Zur Annahme ist eine qualifizierte Mehrheit notwendig. Damit wird ausgehend von der Mitteilung der Kommission eine Entscheidung innerhalb von maximal neun Monaten herbeigeführt. Bisher hat die Kommission keinem Mitgliedsstaat eine solche Mitteilung gesendet. Die Kommission hat lediglich Informationsersuchen an Warschau und Budapest geschickt.

Das Europäische Parlament hat die Kommission wiederholt zur Anwendung des Mechanismus aufgefordert und in Resolutionen betont, dass die Kommission ihrerseits Rechtsbruch begeht, wenn sie ihn bis zu einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes de facto aussetzt. Die Verordnung ist unmittelbar anwendbar und die Kommission nicht an politische Erklärungen der Staats- und Regierungschefs gebunden. Das Parlament hat die Kommission nach mehrmaliger Aufforderung daher auf Untätigkeit verklagt. Diese Klage ist noch immer anhängig.

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