e-evidence

Grenzenloses Internet ?

Elektronisches Beweismittel e-evidence

Unser Alltag verschiebt sich immer häufiger in die digitale Welt – ob bei der Kommunikation mit Familie und Freunden, bei der Arbeit oder beim (Online-)Einkauf. Diese digitale Welt wird jedoch zunehmend dafür missbraucht, Straftaten vorzubereiten, zu begehen oder anschließend zu vertuschen. So sind elektronische Beweismittel eine wichtige Erkenntnisquelle bei Ermittlungen und den anschließenden Strafverfahren. Das Problem: Das Internet kennt keine Grenzen, Online-Kommunikationsdienste werden überall in der Welt bereitgestellt. Dies erschwert die Arbeit der Ermittlungsbehörden: Oft ist es nicht nur aufwendig, die für Ermittlungen notwendigen Daten zu bekommen, die anschließend vor Gericht als elektronische Beweismittel – e-evidence genannt – dienen. Stellen Sie sich vor, die deutsche Polizei ermittelt in einem Diebstahl, bei dem eine gestohlene Uhr wenige Tage nach dem eigentlichen Diebstahl von einem anonymen Facebook-Profil auf einer Facebook-Seite zum Verkauf angeboten wird. Für die Ermittler wäre es nun von besonderem Interesse herauszufinden, wer hinter diesem Profil steht. Da Facebook seine Daten in Irland speichert, müsste die deutschen Behörden nun die Datensätze von den irischen Behörden erfragen – ein oft langwieriger Prozess, an dessen Ende die Daten bereits gelöscht sein könnten; noch komplizierter wird es, wenn die Daten außerhalb der EU gespeichert sind.

Aus diesem Grund hat die Europäische Kommission im April 2018 einen Verordnungsvorschlag über „Herausgabeanordnungen und Sicherungsanordnungen für elektronische Beweismittel in Strafsachen“ vorgelegt, mit der die Herausgabe oder vorläufige Sicherung von e-evidence, die von einem Service-Provider in einem anderen Mitgliedstaat gespeichert wurden, erleichtert werden soll. Der Vorschlag sieht vor, dass beispielsweise die deutschen Strafverfolgungsbehörden das irische Internet-Unternehmen Facebook direkt auffordern könnten, Daten für ein laufendes Strafverfahren zu sichern oder auszuliefern; und zwar unabhängig davon, dass Facebook seinen eigentlichen Sitz außerhalb der EU hat oder die Daten womöglich außerhalb der EU speichert. Auf diese Weise soll der grenzüberschreitende Zugriff auf die für Strafverfahren notwendige Daten und die Verfahren selbst beschleunigt werden.

 

Die Privatsphäre im Blick:

Der Verordnungsvorschlag wird geprüft

Was auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen mag, birgt jedoch auch eine ganze Reihe von Risiken. Mit Blick auf den Schutz der Grundrechte, auf Privatsphäre und Datenschutz und mit Blick auf Verfahrensrechte gibt es massive Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verordnungsvorschlags.

Als Berichterstatterin des Europäischen Parlaments und innenpolitische Sprecherin der sozialdemokratischen S&D Fraktion ist es meine Aufgabe, die Schwächen im Vorschlag deutlich zu machen und mit meinen Kolleginnen und Kollegen Verbesserungen oder Alternativen vorzuschlagen.

Was genau ist zu prüfen? Zunächst einmal erscheint uns, aber auch Bürgerrechtsorganisationen und Teilen der Industrie der Kommissions-Vorschlag überhastet: Es gibt bereits heute mehrere Instrumente auf EU-Ebene zur Verbesserung der Zusammenarbeit der Polizei- und Justizbehörden, z.B. die sogenannte Europäische Ermittlungsanordnung. Diese wird aber erst seit Kurzem angewandt und konnte ihren praktischen Mehrwert bisher kaum unter Beweis stellen. Andere internationale Regelwerke, wie das sogenannte Budapester Übereinkommen über Computerkriminalität, sollen überarbeitet werden. Es wäre deutlich sinnvoller, zunächst die Wirkung dieser Instrumente bzw. Reformen abzuwarten.

Zudem geht der derzeitige e-evidence-Vorschlag im Vergleich zu bisher verabschiedeten Instrumenten in der Zusammenarbeit europäischer Polizei- und Justizbehörden ganz neue Wege: statt der Zusammenarbeit der zuständigen Behörden aus verschiedenen Mitgliedstaaten die direkte Zusammenarbeit zwischen einer Polizei- bzw. Justizbehörde eines Mitgliedstaats und dem Service-Provider in einem anderen Mitgliedstaat. Das ist problematisch. Obwohl Polizei und Justiz in den Mitgliedstaaten verstärkt zusammenarbeiten, bestehen weiterhin erhebliche Unterschiede im Strafrecht, z.B. bei der Frage, was überhaupt eine Straftat ist: So kann Blasphemie in Irland und auch Deutschland nach wie vor in bestimmten Fällen als Straftat eingestuft werden, während dies z.B. im Vereinigten Königreich abgeschafft wurde. Es besteht die Gefahr, dass durch die fehlende Überprüfung der Herausgabe- oder Sicherungsanordnung durch die Justizbehörden im betroffenen Mitgliedstaat ein Service Provider in diesem Land zur Herausgabe von Daten gezwungen wird, obwohl die Tat dort keine Straftat ist. So drohen essentielle Grundrechte und das Vertrauen in die Justiz geschwächt zu werden. Diesen Schwachpunkt haben auch acht Mitgliedstaaten im Rat, darunter auch Deutschland, kritisch bemängelt.

Schließlich wirft der Vorschlag ernsthafte Bedenken mit Blick auf Verfahrensrechte auf, sowie mit Blick auf das Recht auf Privatsphäre sowie das Recht auf den Schutz der eigenen Daten.

Deswegen habe ich als parlamentarische Verhandlungsführerin, gemeinsam mit meinen Kolleg_innen der anderen Fraktionen, entschieden, das Dossier – anders als der Rat – nicht im Eilverfahren vor dem Ende der Legislaturperiode 2014-2019 durchzupeitschen, sondern es gründlich zu prüfen. Nachdem wir eine Reihe von Expert_innen aus Polizei & Justiz, Grundrechte- und Datenschützer_innen und auch unterschiedliche Service Provider angehört haben, haben wir in sieben Arbeitsdokumenten die zahlreichen Schwachstellen ausführlich aufgezeigt (s. unten).  Diese Arbeitsdokumente werden in der neuen Legislaturperiode 2019-2024 als Grundlage des Berichts des Europäischen Parlaments zu den e-evidence-Vorschlägen dienen.  Und erst mit einem Parlamentsbericht können die sogenannten Trilog-Verhandlungen mit dem Rat und der Kommission beginnen.

Die Arbeit der Ermittlungsbehörden verbessern, Vertrauen in Rechtsstaatlichkeit stärken und dabei die Grundrechte der europäischen Bürgerinnen und Bürger garantieren – das muss Ziel aller Veränderungen im Strafrecht sein.

 

Hier gibt es die Arbeitsdokumente des Europäischen Parlaments (Legislaturperiode 2014-2019) in englischer Sprache:

1st Working Document e-evidence_Introduction and overall assessment of issues

2nd Working Document e-evidence_Scope of application and relation with other instruments_Part A

2nd Working Document e-evidence_Scope of application and relation with other instruments_Part B

3rd Working Document e-evidence_Role of Service Providers

4th Working Document e-evidence_Relations with third country law_Part A

4th Working Document e-evidence_Relations with third country law_Part B

4th Working Document e-evidence_Relations with third country law_Part C

5th Working Document e-evidence_Conditions for issuing EPOC(-PR)_Part A

5th Working Document e-evidence_Conditions for issuing EPOC(-PR)_Part B

5th Working Document e-evidence_Conditions for issuing EPOC(-PR)_Part C

6th Working Document e-evidence_Safeguards and Remedies_Part A

6th Working Document e-evidence_Safeguards and Remedies_Part B

6th Working Document e-evidence_Safeguards and Remedies_Part C

7th Working Document e-evidence_Enforcement of EPOC(-PR)